Die Einführung der elektronischen Akte in der deutschen Justiz muss bis zum 1. Januar 2026 vollständig abgeschlossen sein - so will es der Gesetzgeber. Dies betrifft flächendeckend sämtliche Gerichte und Staatsanwaltschaften. Bereits ab 2022 müssen professionelle Einreicher alle Dokumente bei den Gerichten elektronisch einreichen. Doch es lauern viele Stolpersteine.
Bundesweit 3 verschiedene Konzepte
So arbeiten die für die Einführung verantwortlichen Länder an drei unterschiedlichen Konzepten und Modellen, was den Aktenaustausch in länderübergreifenden Fällen erschweren wird. Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Saarland und Sachsen-Anhalt arbeiten an dem ergonomischen elektronischen Arbeitsplatz (e²A), während Baden-Württemberg, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen die E-Akte als Service (eAS) bevorzugen. Bayern, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz schließlich betreiben gemeinsam das elektronische Integrationsportal eIP. Alle drei E-Aktenprojekte werden bereits in Pilotprojekten angewendet, und zwar sowohl in der ordentlichen Gerichtsbarkeit als auch in der Verwaltungs-, der Finanz-, der Arbeits- und der Sozialgerichtsbarkeit. Gemeinsam ist den drei E-Aktensystemen, dass es sich um Rahmenanwendungen handelt, in die sich andere Programme integrieren lassen, die bislang schon bei Gericht verwendet werden.
Um den Aktenaustausch zwischen diesen drei Systemen zu erleichtern und gewisse Standards zu etablieren, existiert ein laufender Austausch zwischen den unterschiedlichen E-Akte-Verbünden. Hier geht es zum Beispiel darum, eine einheitliche Architektur der E-Akten sicherzustellen oder definierte Schnittstellen zwischen den drei Systemen einzurichten. Dieser Austausch wird durch die Bund-Länder-Kommission für Informationstechnik in der Justiz begleitet, die grundsätzlich den Datenaustausch über PDF empfiehlt, genauer PDF/A-2a. Dieses Format PDF/A-2a eignet sich u.a. für die Langzeit-Archivierung und stellt sicher, dass die logische Dokumentenstruktur und die natürliche Leseordnung des enthaltenen Texts erhalten bleiben.
Die elektronische Akte als digitale Version der Papier-Akte
Allerdings steht der Datenaustausch per PDF exemplarisch für einen grundlegenden Ansatz bei der E-Akte, der im Prinzip nur eine digitale Version der bisherigen Papierakte vorsieht, lediglich erweitert um gewisse Alternativen zur chronologischen Sortierung. So hat bereits der Gesetzgeber die E-Akte als Unterfall der papiernen Akte definiert. Letztlich tritt an die Stelle des Briefversands der elektronische Versand eines verschlüsselten Dokuments - an den Arbeitsweisen verändert sich wenig. Das Potenzial der Digitalisierung wird so nicht wirklich ausgenutzt, denn eine echte elektronische Kollaboration ist auf diese Weise nicht möglich.
Ein weiteres Problem der elektronischen Akte ist die Tatsache, dass es sich im Wesentlichen um eine Insellösung handelt. Zwar müssen zum Beispiel Anwälte Dokumente über ihr besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) einreichen, aber die Einbindung anderer Organisationen wie Verbände und Behörden, die nicht dem jeweiligen Justizministerium unterstehen, ist nicht vorgesehen. Dabei könnte dies etwa bei Verfahren vor den Sozialgerichten einen erheblichen Zugewinn an Effizienz bringen.
Wenig Verknüpfung von IT- und juristischem Wissen
Der dritte Stolperstein ist die Tatsache, dass in der Justiz häufig Juristen ohne tiefgreifende IT-Kenntnisse mit der Einführung der E-Akte beauftragt werden. Und auch wenn etliche Richter sich bereits beeindruckendes Wissen angeeignet haben, ist das Verständnis neuer Technologien wie etwa Containerisierung von Software oder Datenbanken meist nicht ausgeprägt. Solche Technologien stoßen oft eher auf Ablehnung und werden daher nur zögerlich und widerwillig angegangen, wenn überhaupt. Dies führt dazu, dass auch Effizienzgewinne im Bereich von Storage und Performance nicht realisiert werden. Schließlich herrschen in der Justiz wie in anderen Bereichen des Öffentlichen Dienstes oft alte Denkmuster vor, die wenig vom Servicegedanken geprägt sind.
Dennoch ist die Justiz grundsätzlich offen für die elektronische Akte, und auch die Länder treiben die Einführung voran. Insbesondere jüngere Richter haben wenig Vorbehalte gegen die Digitalisierung und unterstützen diese Transformation. Die Umfrage eines weltweit tätigen IT-Dienstleisters aus dem Jahr 2020 zeigt zudem, dass mit zunehmender Erfahrung die Skepsis gegenüber der E-Akte abnimmt. So bezeichnete etwa die Hälfte der Befragten Anwender in Pilotgerichten den Nutzen der E-Akte als hoch, und sie hatten weniger Probleme als Nicht-Anwender annahmen. Mehr als drei Viertel der Servicekräfte und mehr als zwei Drittel der Richter, die bereits mit der E-Akte arbeiten, halten nach dieser Umfrage eine Rückkehr zur Papierakte für nicht sinnvoll.
Schwierigkeiten bei der Einführung der E-Akte in der Justiz liegen also weniger an mangelndem Willen, sondern am fehlenden Know-how. Daher ist in der Regel externe Unterstützung durch Berater mit Erfahrung in der digitalen Transformation erforderlich.
Voraussetzungen für die Einführung der E-Akte
Für die Einführung der elektronischen Akte müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein. So ist die Zentralisierung der gesamten Datenverarbeitung in ein Rechenzentrum erforderlich, um einen reibungslosen Betrieb zu gewährleisten. Zudem ergänzt sie den elektronischen Rechtsverkehr, der für die Anwaltschaft allerdings ohnehin ab Januar 2022 verpflichtend ist. Weiterhin bietet es sich an, in den Ländern je einen zentralen IT-Dienstleister zu etablieren, der den Betrieb der gesamten IT-Infrastruktur übernimmt. Dies muss kein externer Dienstleister sein - in Nordrhein-Westfalen hat beispielsweise das OLG Köln diese Rolle übernommen und eine eigene Teildienststelle dafür eingerichtet.
Eine ganz wesentliche Voraussetzung für die Einführung ist allerding nicht technischer Natur - die möglichst frühzeitige Einbindung aller Stakeholder. Diese ist zum einen erforderlich, weil bei jeder Entscheidung die Zustimmung der verschiedenen Personalvertretungen benötigt wird. Zum anderen fördert eine frühzeitige Beteiligung jenseits aller rechtlichen Anforderungen die Bereitschaft der potentiellen Anwender, sich auf diese grundlegende Transformation einzulassen, und ist geeignet, Skepsis und Vorbehalte zu beseitigen. Und vom Feedback und der Akzeptanz dieser Anwender hängt letztlich der Erfolg eines jeden IT-Projekts ab.
Weitere Erfolgsfaktoren sind eine klare Erwartungshaltung, die auch an alle Beteiligten kommuniziert wird, ein realistischer Zeitrahmen und eine klare Festlegung von Budgets. Hier sollte man nicht zu ehrgeizig vorgehen, denn die Erfahrung zeigt, dass die erforderlichen Mittel nicht immer sofort zur Verfügung gestellt werden (können).